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Lehrvertrag aufgelöst – Berufsabschluss gefährdet?

Vorzeitige Lehrvertragsauflösungen – oder Lehrabbrüche – sind immer wieder Gegenstand heftiger Debatten. Im Vordergrund stehen die hohen Auflösungsquoten und die Ursachen für die Vertragsauflösungen. Eine gängige, bisher nicht empirisch gestützte Meinung ist, dass eine Lehrvertragsauflösung den nachfolgenden Ausbildungserfolg der Jugendlichen gefährdet. Das Längsschnittprojekt LEVA richtet den Blick nicht nur auf die Risiken, sondern auch auf die Chancen, die eine Vertragsauflösung für den weiteren Ausbildungsverlauf der Lernenden mit sich bringt. Erstmals kann gezeigt werden, wie viele Lernende nach einer Vertragsauflösung einen Berufsabschluss erwerben und welche Gruppen von Jugendlichen langfristig ohne Abschluss bleiben.


Die hohe Anzahl vorzeitig aufgelöster Lehrverträge sorgt in Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit immer wieder für Diskussionen. In den Medien wird meist von «Lehrabbruch» gesprochen, womit suggeriert wird, dass die betroffenen Lernenden keine weitere Ausbildung aufnehmen. Dies ist irreführend. Dass viele Lernende ihre Ausbildung nach der vorzeitigen Lehrvertragsauflösung fortsetzen, ist hinreichend belegt.

Nicht bekannt war bisher, wie viele Lernende nach der Vertragsauflösung eine Sek.-II-Ausbildung abschliessen und welche Faktoren das Erreichen eines Abschlusses begünstigen bzw. hemmen. Dies kann nun erstmals basierend auf Daten des Längsschnittprojekts LEVA (Lehrvertragsauflösungen im Kanton Bern) gezeigt werden (Stalder & Schmid, 2016). Mehr als 1300 Lernende und Berufsbildende wurden zur Passung vor Lehreintritt, zur Ausbildungsqualität und zu den Auflösungsgründen befragt. Die Laufbahn der Lernenden wurde während zehn Jahren nach der Vertragsauflösung untersucht. Ein Rahmenmodell erklärt Ursachen von Lehrvertragsauflösungen und Bedingungen für den späteren Ausbildungserfolg.

Passung vor Lehreintritt

62 Prozent der Lernenden, die ihren Lehrvertrag frühzeitig auflösten, sagten, sie hätten vor Lehreintritt nur wenig über ihren Betrieb gewusst.

Lehrvertragsauflösungen haben viele Ursachen und meist eine längere Vorgeschichte. Weit verbreitet ist die Annahme, dass Vertragsauflösungen auf eine falsche Berufswahl der Lernenden zurückzuführen sind. Die Ergebnisse von LEVA zeigen, dass dies allenfalls auf eine Minderheit der Lernenden zutrifft. So gaben nur 30% der befragten Lernenden an, sie seien vor Lehrantritt schlecht über den Beruf informiert gewesen und nur 15% bezweifelten, dass der Beruf zu ihnen passen würde. Schwieriger war für sie die Entscheidung für einen passenden Betrieb. So sagten 62% der Lernenden, sie hätten vor Lehreintritt nur wenig über ihren Betrieb gewusst. Anders als die Lernenden waren die meisten Berufsbildenden überzeugt, dass die Lernenden gut über den Betrieb informiert gewesen seien und in den Betrieb passen würden.

Passung nach Lehreintritt

Eine gute Passung vor Lehrantritt ist eine wichtige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für eine gelingende Anpassung nach Lehreintritt. Ob sich Lernende im Betrieb und in der Berufsfachschule gut zurechtfinden und integrieren können, hängt massgeblich von der Ausbildungsqualität an den verschiedenen Lernorten ab. Dazu gehören vielseitige Lerngelegenheiten in Betrieb und Schule, Tätigkeiten und Aufgaben, die Lernende weder über- noch unterfordern, ausreichende Mitbestimmungsmöglichkeiten und pädagogisch kompetente Ausbildende. Diese nehmen sich Zeit für die Ausbildung, können Lerninhalte gut vermitteln und unterstützen Lernende bei Problemen.

Luca, 19-jährig

Luca löst seinen Lehrvertrag als Schreiner nach sechs Monaten auf. Vor Lehrbeginn ist er eigentlich zuversichtlich gewesen, in diesem Betrieb eine gute Ausbildung machen zu können. Doch es kommt anders. Im ersten Lehrjahr muss er Tätigkeiten ausführen, die ihn kaum fordern und wenig mit seiner Ausbildung zu tun haben. Ausserdem bekommt er ziemlich früh von seinem Chef zu spüren, dass seine Arbeit nicht genügt. Er bekommt nur negative Rückmeldungen, gute Arbeit bleibt gänzlich unkommentiert.

Es ist eine schwierige Zeit für Luca. Abends kommt er niedergeschlagen nach Hause, ist gereizt und erträgt fast nichts mehr. Seine Lehrstelle erfüllt nicht, was er sich von ihr versprochen hat. Möbelschreiner ist zwar weiterhin Lucas Wunschberuf, aber er ist nicht im richtigen Betrieb. Nach Gesprächen mit seinen Eltern, einer Ausbildungsberaterin und einem Psychologen beschliesst Luca, den Lehrvertrag aufzulösen und sich einen neuen Lehrbetrieb zu suchen.

Nach einer Übergangszeit findet Luca ein halbjähriges Praktikum in einer Bauschreinerei und geht weiterhin zur Berufsfachschule. Danach erhält er die Chance, im Praktikumsbetrieb zu bleiben und seine Lehre im zweiten Lehrjahr fortzusetzen. In der neuen Schreinerei herrscht ein gutes, unterstützendes Arbeitsklima, das Luca in seinem Lernprozess vorwärts bringt. Der Umgangston im Team ist kollegial, die Kritik an Lucas Arbeit konstruktiv. Er wird gelobt, wenn er etwas gut macht – und wenn nicht, wird ihm gezeigt, wie er es besser machen kann. Sein Chef legt viel Wert auf Lucas Eigeninitiative und auch die Arbeitskollegen ermuntern ihn, sich an neue Aufgaben heranzuwagen und sich bei Entscheidungen einzubringen. Einem erfolgreichen Berufsabschluss steht nichts im Weg.

Vorliegende Studien argumentieren, dass Lehrvertragsauflösungen mehrheitlich durch eine schlechte Ausbildungsqualität und konfliktreiche Beziehungen im Betrieb begründet sind. Gemäss Ergebnissen von LEVA trifft dies nur für einen Teil der Lehrverhältnisse zu. Wird die Ausbildungsqualität in Betrieb und Berufsfachschule gemeinsam betrachtet, zeigen sich grosse Unterscheide zwischen vier Gruppen von Lernenden:

  1. Eine erste Gruppe von Lernenden (14%) schätzte die Ausbildungsqualität an beiden Lernorten sehr positiv ein. Sie hatten in Betrieb und Schule vielfältige Lern- und Mitbestimmungsmöglichkeiten und kompetente Ausbildende. In der Berufsfachschule waren die Jugendlichen eher unterfordert.
  2. Eine zweite Gruppe von Lernenden (28%) berichtete über eine hohe Ausbildungsqualität im Betrieb und vielseitige Lerngelegenheiten in der Berufsfachschule. Sie beurteilten die Kompetenzen der Lehrpersonen aber eher kritisch und waren in der Schule häufig überfordert.
  3. Eine dritte Gruppe von Lernenden (36%) schätzte die Ausbildungsqualität in der Berufsfachschule sehr positiv ein, stiess aber im Betrieb auf wenig lernförderliche Bedingungen. In der Berufsfachschule waren diese Jugendlichen kaum gefordert.
  4. Eine vierte Gruppe von Lernenden (21%) beurteilte die Ausbildungsqualität an beiden Lernorten eher negativ. Sie schätzten die Lernmöglichkeiten in Betrieb und Schule als eher gering, die pädagogischen Kompetenzen der Ausbildenden als höchstens mittelmässig ein. In der Berufsfachschule waren die Lernenden nur ab und zu gefordert.

Bei Lernenden mit hoher Ausbildungsqualität im Betrieb wurde der Lehrvertrag häufiger als bei anderen wegen schulischer Unterforderung (Gruppe 1) bzw. Überforderung (Gruppe 2) aufgelöst. Beide Gruppen hatten die Ausbildung mehrheitlich in ihrem Wunschbetrieb absolviert, zeigten sich motiviert und strengten sich in Betrieb und Schule an. Die Berufsbildenden schätzten die Lernenden für ihr gutes Lern- und Arbeitsverhalten. Offenbar haben diese Jugendlichen gut in den Betrieb gepasst.

Lernende, die im Betrieb kaum, in der Schule aber sehr gefördert wurden (Gruppe 3), begründeten die Vertragsauflösung häufig mit ihren ungenügenden Vorkenntnissen über den Betrieb und der schlechten betrieblichen Ausbildungsqualität. Aus Sicht der Berufsbildenden waren sie wenig lernbereit und genügten deren Leistungsanforderungen nicht.

Lernende, die weder im Betrieb noch in der Schule auf für sie lernförderliche Bedingungen stiessen (Gruppe 4), waren häufiger als andere weder in ihrem Wunschberuf noch in ihrem Wunschbetrieb. Sie kamen mit den Erwartungen des Lehrbetriebs nur schlecht zurecht, waren wenig motiviert und mit ihrer Ausbildung insgesamt sehr unzufrieden.

Vertragsauflösung: erfolgreiche Anpassungsstrategie

Drei Jahre nach der Vertragsauflösung hatten 46% der Lernenden mit einer Lehrvertragsauflösung ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen, fünf Jahre danach 68%. Danach erreichten nur noch wenige einen Abschluss.

Eine Lehrvertragsauflösung bedeutet nur für eine Minderheit der Lernenden einen endgültigen Ausstieg aus dem Bildungssystem. Viele Lernende setzten ihre Ausbildung nahtlos oder nach einer kurzen Unterbrechung von 1-2 Monaten fort (49%). Die meisten von ihnen blieben im Berufsfeld. Sie wechselten in einen anderen Betrieb oder in eine Ausbildung mit höheren oder geringeren Anforderungen. Ein Jahr nach der Vertragsauflösung hatten 64% der Jugendlichen, drei Jahre danach 77% eine neue Ausbildung gefunden. Wer nach einer längeren Unterbrechung wieder eine Ausbildung aufnimmt, wechselt in der Regel das Berufsfeld. Nur noch wenige der inzwischen jungen Erwachsenen nahmen nach drei Jahren wieder eine Ausbildung auf.

Drei Jahre nach der Vertragsauflösung hatten 46% der Lernenden, fünf Jahre danach 68% ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Danach erreichten nur noch wenige einen Abschluss. Rund ein Viertel der Lernenden blieb langfristig, d.h. auch nach zehn Jahren ohne Berufsabschluss.

Stärker gefährdet, keinen Berufsabschluss zu erreichen, sind Lernende ausländischer Nationalität, aus bildungsfernen Familien oder mit einem nicht-gradlinigen Ausbildungsweg vor Lehrbeginn – dieselben Gruppen also, die bereits beim Einstieg in die berufliche Grundbildung auf höhere Hürden stoßen.

Ein höheres Risiko haben auch Jugendliche mit wenig lernförderlichen Ausbildungsbedingungen in Schule und Betrieb. Sie nahmen seltener wieder eine Ausbildung auf, und wenn, dann häufig erst nach einer längeren Unterbrechung. Die schlechten Lernerfahrungen erweisen sich als Hypothek für den späteren Ausbildungserfolg. Ein Schlüsselfaktor ist die Unterstützung bei der Suche nach einer Anschlusslösung. Lernende, die nicht von ihren Berufsbildenden, von Lehrpersonen oder von Ausbildungsberatenden der kantonalen Behörde unterstützt wurden, erreichten deutlich seltener einen Berufsabschluss. Schliesslich sind Lernende, deren Vertrag aus gesundheitlichen oder familiären Gründen aufgelöst wird, stärker gefährdet, ohne Berufsabschluss zu bleiben. Solche Gründe erschweren einen Wiedereinstieg trotz guter Passung, hoher Ausbildungsqualität und Unterstützung.

Von den Lernenden, die keine weitere Ausbildung mehr aufnahmen, konnte sich gegen die Hälfte auch ohne Abschluss im Arbeitsmarkt integrieren. Sie übten aber unqualifizierte Tätigkeiten aus und hatten schlechte Laufbahnperspektiven. Andere Jugendliche waren arbeitslos, langfristig krank und von Arbeitslosen- oder Fürsorgegeldern abhängig. Wieder andere zogen sich aus dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zurück, verbrachten die Zeit zuhause oder übernahmen Haus- und Familienarbeiten.

Lehrvertragsauflösung vermeiden – Wiedereinstieg fördern

Lehrvertragsauflösungen sind meist Ergebnis eines längeren Prozesses, in dem verschiedene Problemsituationen auftreten und sich zuspitzen. Vertragsauflösungen einseitig auf die falsche Berufswahl, schlechte Schulleistungen oder ein geringe Ausbildungsqualität zurückzuführen, greift zu kurz. Ebenso ist es falsch, jede Lehrvertragsauflösung als negativ zu beurteilen. Für Lernende kann sie auch positive Folgen haben. Trotzdem: Insgesamt gilt es, die noch zu hohe Anzahl Lehrvertragsauflösungen zu reduzieren und die Anzahl erfolgreicher Wiedereinstiege und Berufsabschlüsse zu erhöhen. Massnahmen müssen in allen Phasen der Ausbildungslaufbahn, d.h. vor Lehreintritt, nach Lehreintritt und nach der Vertragsauflösung ansetzen.

Vor Lehreintritt

Eine gelingende Berufs- und Lehrstellenwahl sowie eine sorgfältige Selektion der Lernenden sind wichtige Voraussetzungen für den Ausbildungserfolg. Nachhol­bedarf besteht vor allem in Bezug auf die Lehrstellenwahl. Diese darf nicht allein den Jugendlichen und Eltern überlassen werden – sie ist eine gemeinsame Aufgabe von Jugendlichen, Eltern, Schulen und Lehrbetrieben. Lehrpersonen der Sekundarstufe I sollten Jugendliche nicht nur bei der Berufsorientierung, sondern verstärkt bei der Wahl eines passenden Betriebs unterstützen. Dies bedingt eine gute Vernetzung zwischen Schulen und ortsansässigen Betrieben und ein ausreichendes Lehrstellenangebot. Schnupperlehren sollten nicht nur der Wahl des Berufes – bzw. der Selektion  –  dienen, sondern auch einen möglichst realistischen Einblick in betriebsspezifische Besonderheiten und die betriebliche Ausbildungskultur vermitteln. Nur so können sich Jugendliche entscheiden, ob der Beruf UND der Betrieb zu ihnen passen könnten.

Nach Lehreintritt

Auch bei einer guten Vorbereitung kann vor Lehreintritt nur eine ungefähre, vorläufige Passung hergestellt werden. Berufe sind abstrakte Gebilde, die erst im Kontext realer Erfahrungen konkret greifbar werden. Umso entscheidender ist, dass Lernende von Anfang an gut im Betrieb und in der Berufsfachschule integriert werden.

Lara, 31-jährig

Lara bricht zwei Mal eine Ausbildung ab. Die erste als Krankenschwester entspricht zwar ihrem Wunsch. Aber kurz nach dem sie angefangen hat, trennen sich ihre Eltern und ihre Mutter beginnt zu trinken. Anstatt sich auf die Ausbildung zu konzentrieren, kümmert sich Lara um ihre Mutter. Diese unterstützt Lara nicht. Im Gegenteil – sie setzt Lara herab, sagt ihr, dass sie es sowieso nicht schaffen würde. Das belastete Verhältnis zu ihrer Mutter führt schliesslich dazu, dass Lara die Ausbildung noch im ersten Jahr abbricht.

Kurze Zeit später findet Lara eine Lehrstelle als Gastronomiefachassistentin in einem anderen Kanton. Dieser Schritt ermöglicht es ihr auszuziehen. Beim Entscheid für die Lehrstelle steht nicht die Begeisterung für den Beruf, sondern das Loskommen von ihrer Familie im Zentrum. Anfangs macht ihr die Arbeit Spass, weil sie viele junge Leute kennenlernt, mit denen sie auch die Freizeit verbringt. In den Wintermonaten ist Lara aber oft allein und fühlt sich einsam. Dies raubt ihr die Motivation. Ausserdem merkt sie, dass sie für den Beruf nicht geeignet ist. Da sie zudem nicht mehr länger vom Lehrlingslohn leben kann, kommt es zu einer Lehrvertragsauflösung.

Lara kehrt zurück an ihren alten Wohnort und arbeitet als Modeberaterin. Zu dieser Zeit lernt sie ihren Mann kennen. Als ihr erstes Kind zur Welt kommt, bleibt sie eine Zeit zu Hause und arbeitet danach wieder als ungelernte Verkäuferin.

Lara ist es unangenehm, keine abgeschlossene Berufslehre zu haben, insbesondere deshalb, weil es nicht an ihrer mangelnden Intelligenz oder fehlenden Anstrengungsbereitschaft liegt. Im Alter von 27 Jahren entscheidet sie sich, eine Nachholbildung als Fachfrau Gesundheit zu beginnen. Lara findet schnell einen Ausbildungsplatz und kann die Lehre in zwei statt drei Jahren machen. Sie absolviert die Ausbildung mit grosser Freude, erfährt viel Wertschätzung im Beruf und schliesst schliesslich mit Bestnoten ab. Über ihren Erfolg ist Lara stolz und erklärt ihn damit, dass es ihr privat sehr gut geht.

Eine hohe Ausbildungsqualität in Betrieb und Berufsfachschule ist mit Blick auf Lehrvertragsauflösungen in zweifacher Hinsicht bedeutend. Erstens wirkt eine hohe Ausbildungsqualität vorzeitigen Vertragsauflösungen entgegen. Neben vielseitigen Lerngelegenheiten ist entscheidend, dass den Lernenden eine kompetente Person zur Seite steht, die sie im Lernprozess unterstützt, mit der Betriebskultur vertraut macht und ein offenes Ohr für Fragen hat. Zweitens trägt eine hohe Ausbildungsqualität dazu bei, dass Lernende ihre Ausbildung nach einer Vertragsauflösung erfolgreich fortsetzen und abschliessen können. Gelingt es Berufsbildenden, Lehrpersonen und Lernenden, ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen, können sie gemeinsam nach einer Anschlusslösung suchen. Gerade bei einer Vertragsauflösung kann die Stärke der dualen Ausbildung – die Verteilung der Ausbildungsverantwortung auf mehrere Lernorte – gezielt genutzt werden. Ist das Verhältnis zwischen Lernenden und Berufsbildenden konfliktreich, können Lehrpersonen unterstützend wirken. Ist die Beziehung zur Lehrpersonen schwierig, können Berufsbildende vermitteln. Da Lern- und Anpassungsprobleme häufig nur an einem Lernort sichtbar werden, ist eine enge Kooperation zwischen den Lernorten nötig. Wichtig ist, dass Berufsbildende und Lehrpersonen frühzeitig erkennen, wenn Jugendliche am einen oder anderen Lernort über- oder unterfordert sind, unmotiviert oder unzufrieden scheinen.

Nach der Vertragsauflösung

Eine intensivere, gezielte Unterstützung ist nötig für Lernende, die nach der Vertragsauflösung (vorerst) keine neue Ausbildung aufnehmen. Für viele der betreffenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen stellt sich grundsätzlich die Frage, ob sie eine neue Ausbildung in Angriff nehmen sollen bzw. können. Da Lernende ohne Anschlusslösung häufig nicht selber nach Unterstützung suchen, müssen sie persönlich angesprochen und auf Unterstützungsangebote hingewiesen werden. Zudem sind Bildungsangebote weiterzuentwickeln, die es jungen Erwachsenen ermöglichen, den Berufsabschluss nachzuholen. Wichtig ist, dass auch Betriebe und Berufsberatende über solche Nachqualifizierungsmöglichkeiten gut Bescheid wissen.

Lehrvertragsauflösung und Ausbildungserfolg – Rahmenmodell

Ob Lernende nach einer Lehrvertragsauflösung einen Berufsabschluss erwerben, hängt von Anpassungsprozessen in drei Ausbildungsphasen ab: der Zeit vor Lehreintritt, der Zeit nach Lehreintritt bis zur Vertragsauflösung und der Zeit nach der Vertragsauflösung. Lehrvertragsauflösungen sind Ergebnis einer ungenügenden Passung zwischen Lernenden, Beruf, Betrieb und Berufsfachschule. Die Passung ist zu gering, um das Lehrverhältnis im selben Lehrberuf und Lehrbetrieb fortzusetzen. Um Passung (wieder) herzustellen, müssen Lernende eine Ausbildung finden, die ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten besser entspricht. Dann sind die Chancen gut, dass sie diese erfolgreich durchlaufen und abschliessen.

Mangelnde Passung vor dem Eintritt in die Lehre

Verschiedene Umstände können dazu führen, dass Lernende schon vor Lehrantritt nur schlecht zum Beruf, zum Betrieb oder zur Berufsfachschule passen. Dazu gehören Unsicherheiten der Lernenden bezüglich ihrer Fähigkeiten und Interessen, schlechte schulische Voraussetzungen, ungenügende Informationen über Berufe und Betriebe, der Mangel an passenden Lehrstellen, unzureichende Selektionsverfahren der Betriebe und unrealistische Erwartungen von Lernenden und Berufsbildenden.

Mangelnde Passung nach Eintritt in die Lehre

Der Lehreintritt fordert vor allem von den Lernenden, aber auch von den Ausbildenden grosse Anpassungsleistungen. Das Erreichen einer hohen Passung ist erschwert, wenn gegenseitige Erwartungen nicht geklärt und allenfalls justiert werden, wenn Lernende auf ein wenig lernförderliches Ausbildungsumfeld stossen, mit den betrieblichen und schulischen Anforderungen nicht zurechtkommen oder die Lernmotivation und das Interesse am Beruf verlieren. Ist die Passung ungenügend, können Lernende, Betriebe und Schulen verschiedentlich versuchen, Passung (wieder) herzustellen. Sind solche Massnahmen nicht erfolgreich, kommt es zu einer Lehrvertragsauflösung.

Neuanpassung nach der Vertragsauflösung

Die Lehrvertragsauflösung ist für Lernende und Betriebe häufig ein belastendes Ereignis. Sie bietet den Lernenden aber auch die Chance, ihre Laufbahn neu zu gestalten. Voraussetzung für den späteren Ausbildungserfolg ist, dass Lernende das Ziel, einen Berufsabschluss zu erwerben, nicht aufgeben, und eine Anschlusslösung finden, die ihnen besser entspricht. Je nach Art und Ausmass der fehlenden Passung können Lernende im bisherigen Berufsfeld bleiben (Betriebswechsel, Wechsel in Lehrberuf mit geringeren/höheren Anforderungen) oder müssen sich gänzlich neu orientieren.

Literatur

  • Stalder, B. E., & Schmid, E. (2016). Lehrvertragsauflösung und Ausbildungserfolg – kein Widerspruch. Bern: hep. Buch bestellen
Zitiervorschlag

Stalder, B. E., & Lüthi, F. (2016). Lehrvertrag aufgelöst – Berufsabschluss gefährdet?. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 1(2).

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