Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Projekt «Realto» des Leading House «Dual-T»

So verbindet man das Lernen im Lehrbetrieb und an der Berufsfachschule

Für jede Ausbildung gibt der Bildungsplan an, was in der Berufsfachschule und im Ausbildungsbetrieb zu lernen ist. Für die Lernenden bleiben die Verbindungen zwischen den beiden Lernorten aber oft wenig klar. Das Projekt Realto erlaubt, Brücken zu schlagen. Es bietet eine Online-Plattform, auf der die Lernenden Erfahrungen festhalten können, die sie im Lehrbetrieb, im Atelier oder in der Berufsfachschule machen. Diese Erfahrungen können in Form von Fotos oder persönlichen Notizen auf die Plattform hochgeladen werden. Bereits sind mehrere Berufsverbände auf den Nutzen dieses Ansatzes aufmerksam geworden.


Realto basiert auf einer Kooperation von Wissenschafter/innen der ETH Lausanne, der Universität Fribourg und dem Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung. Im Rahmen des Leading-House-Projektes Dual-T wird diese Zusammenarbeit durch das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI unterstützt. Realto zielt darauf,

Oft durch die Lernenden und Ausbildungsverantwortlichen hinterfragt, kann die in vielen Berufen vorgeschriebene Lerndokumentation mit Realto sehr leicht realisiert werden.

  • neue Technologien zu nutzen, um Lernenden die Mittel zu geben, ihre beruflichen Erfahrungen aufzunehmen und festzuhalten, die sie in ihrem Lehrbetrieb oder im Atelier machen. Das Format (Fotos mit dem Smartphone oder kurze Notizen) erlaubt den Lernenden, diese Erfahrungen orts- und zeitunabhängig ausserhalb ihrer Arbeit zu nutzen.
  • den Lernenden zu ermöglichen, ihre Erfahrungen immer dann zu dokumentieren, wenn sie möchten, und sie dann via Internet ihrer Lerndokumentation hinzuzufügen oder sie für Antworten auf eine vorangegangene – z.B. durch die Klassenlehrperson vorgeschlagene – Lernaktivität einzusetzen.
  • Berufsbildende, Lehrpersonen und Klassenkollegen zu ermutigen, die Dokumente durch direkte Kommentare zu ergänzen. Die Plattform erlaubt es, auf den Fotos Notizen anzubringen (bzw. diese zu kommentieren). Zudem können Fotos am Bildschirm nebeneinander und übereinander gelegt werden, um die Arbeiten unterschiedlicher Lernenden in der Klasse zu vergleichen.

Realto, ein Mittel zur Reflexion und zum Austausch der an den unterschiedlichen Lernorten gemachten Erfahrungen während der Ausbildung.


Zur Entwicklung und Pilotierung der Plattform haben unterschiedliche Berufe beigetragen, insbesondere Maler/in, Bekleidungsgestalter/in, Multi-Media-Elektroniker/in und Florist/in. Eine ältere Version mit reduzierten Funktionen wird seit 2011 vom Beruf Bäcker/Konditor/Konfiseur und einem Teil der Lernenden im Beruf Koch/Köchin genutzt (www.learndoc.ch). Für eine gute Nutzung von Realto ist eine bedeutende Anzahl von Lernenden, Berufsbildnern und Berufsfachschullehrerinnen im gleichen Beruf erforderlich. Dennoch sind parzielle Nutzungen und Erprobungen durch bestimmte Gruppen von Lehrpersonen, Schulen oder interessierte Berufsbildner/innen unter bestimmten Bedingungen möglich. Interessierte Personen können sich via support@realto.ch informieren.

Die Plattform bietet eine Standardversion und spezielle Versionen für Partnerberufe an. Die Standardversion richtet sich an Pilotgruppen, die die Online-Lernumgebung testen möchten. Die speziellen Versionen sind für die Berufsverbände konfiguriert, welche Realto auf einer breiteren Basis nutzen möchten. Es ist möglich, die Plattform mit bestimmten Bezugssystemen gemäss ihren Wünschen zu ergänzen: Beispielsweise mit offiziellen Dokumenten, Kompetenzprofilen, Datenbanken oder Bildern. Einmal für einen Beruf entwickelt, wird eine neue Funktion auch anderen teilnehmenden Berufen zur Verfügung gestellt.

Beobachtete Effekte auf die Ausbildung und auf das Lernen

Aktuell wird Realto von 1440 Lernenden, 230 Lehrpersonen und 240 Berufsbildenden aus verschiedenen Berufen genutzt, hauptsächlich zur Erstellung von Lerndokumentationen durch die Lernenden. Oft durch die Lernenden und Ausbildungsverantwortlichen hinterfragt, kann die in vielen Berufen vorgeschriebene Lerndokumentation mit Realto sehr leicht realisiert werden. Erste Analysen zeigen, dass Lernende mit Realto freiwillig mehr Lerndokumentationen erstellen als offiziell empfohlen (Furlan et Gurtner, 2017). Hinsichtlich der Anzahl der Feedbacks durch die Ausbildungsverantwortlichen ist kein Unterschied festzustellen. Das mag damit zusammenhängen, dass Realto auch mündliche Kommentare erlaubt – ganz einfach via Smartphone oder Tablet. Ein Berufsbildner sagt: «Entscheidend ist, dass ich laufend auf die Lerndokumentation Einfluss nehmen kann. Ich sehe, ob Laura überhaupt etwas gemacht hat. Wenn ja, kann ich korrigierend eingreifen, falls das nötig sein sollte. Ich muss nicht extra einen Termin in der Werkstatt dafür abmachen, sondern kann jederzeit und überall mit ihr kommunizieren.»

Positiven oder negativen Kommentare von Berufsbildenden sind für die Motivation der Lernenden wichtig, auch bei der Erstellung von Lerndokumentationen. Realto ermutigt die Ausbildungsverantwortlichen, die Einträge der Lernenden durchzusehen: Ein Benachrichtigungssystem informiert sie, wenn ein neuer Eintrag erstellt wurde. Zudem macht Realto es den Lernenden leicht, die Anregungen der oder des Berufsbildenden in der Online-Lerndokumentation zu berücksichtigen.

Schliesslich belegen unsere Forschungen auch einen Effekt auf den Unterricht in der Berufsfachschule. So zeigt sich, dass die Möglichkeit von Realto, Bilder zu beschriften, nebeneinander oder übereinander zu legen, die Interaktionen in der Klasse anregt und zu einer stärkeren Teilnahme der Lernenden führt (Caruso, Cattaneo et Gurtner, 2017). Das Interesse an der Verwendung von Fotos für das berufliche Lernen wird auch im Beruf Bäcker/Konditor/Confiseur bestätigt. Lernende, die bei der Abschlussprüfung bessere Resultate erzielt haben, legten ihren Rezepten und Lerndokumentationen eine grössere Anzahl von Fotos bei. Sie haben viel früher und systematischer begonnen, die Plattform zu nutzen als Lernende mit schlechteren Resultaten. Berufsbildnerinnen und Lehrer sind deshalb eingeladen, ihre Lernenden bereits am Anfang ihrer Ausbildungszeit mit der Plattform vertraut zu machen. Die Reflexion von Lernerfahrungen erfordert, dass die Lernenden bald mit Realto arbeiten und zur täglichen Routine machen.

Dank Realto erhalten Berufsfachschule, Lehrbetrieb und überbetriebliche Kursen ein gemeinames Instrument. Damit wird die Verbindung von einem Lernort zum anderen viel leichter – wie es sich die Konstrukteure der berühmten Brücke in Venedig bereits gewünscht haben. Ein Video zu Realto findet sich auf Youtube.

Bibliographie

  • Caruso, V., Cattaneo, A., & Gurtner, J. L. (2017). Creating technology-enhanced scenarios to promote observation skills of fashion design students. Form@re Open Journal per la formazione in rete, 17(1), 4-17.
  • Furlan, N., & Gurtner, J.-L. (2017). Feedback and feedforward: Feedback strategies of in-company trainers on learners’ learning documentation. 5th Congress on Research in Vocational Education and Training. March 14-16, 2017. Zollikofen, Switzerland.
Zitiervorschlag

Gurtner, J., Felder, J., & Furlan, N. (2017). So verbindet man das Lernen im Lehrbetrieb und an der Berufsfachschule. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 2(2).

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