Berufsbildung in Forschung und Praxis
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EHB leitet neues Leading House für Berufsfelddidaktik

Die Berufsbildung braucht spezifischere Didaktiken

In der Ausbildung von Lehrpersonen spielt die Fachdidaktik eine zentrale Rolle. Der Unterricht auf der Primar- und Sekundarstufe I sowie an Gymnasien ist zu einem guten Teil an fachdidaktischen Kriterien ausgerichtet. In der schweizerischen Berufsbildung hingegen sieht die Situation ganz anders aus. Für die Ausbildung von Lernenden und Studierenden konnten sich berufs- oder fachspezifische Didaktiken formal kaum etablieren. Mit dem neuen, von den swissuniversities finanzierten Leading House für Berufsfelddidaktik unter Leitung des EHB wird ein wissenschaftliches Netzwerk von nationaler Bedeutung gegründet, das die Umsetzung von Berufsfelddidaktik in der Schweiz untersucht.


Die Berufsbildung in der Schweiz zeichnet sich durch eine grosse Heterogenität aus: Erstens entsteht durch die hohe Auswahl an beruflichen Grundbildungen und Höheren Berufsbildungen eine grosse inhaltliche Heterogenität bezüglich beruflicher Handlungskompetenzen. Zweitens benötigt die Verbindung von verschiedenen Lernorten unterschiedliche Lehrprofile (Lehrpersonen an Berufsfachschulen, Höheren Fachschulen und Berufsmaturitätsschulen, Leiterinnen von überbetrieblichen Kursen, Berufsbildner in Betrieben und andere Spezialistinnen und Spezialisten). Und drittens weisen die Lernenden/Studierenden in der Berufsbildung eine hohe Heterogenität punkto Leistung und soziale Herkunft auf. Diese Besonderheiten unterscheiden die Berufsbildung von der Allgemeinbildung. Das stellt spezifische Anforderungen an die Didaktik.

Wissenschaftlich fundierte Beiträge zur Frage, wie berufsspezifische Inhalte insbesondere im berufskundlichen Unterricht didaktisch geplant und umgesetzt werden sollen, fehlen weitgehend.

In der beruflichen Grundbildung gibt es nur für wenige Fächer eine längere fachdidaktische Tradition, so etwa für das Fach Wirtschaft und Gesellschaft (bzw. Wirtschaft und Recht). Diese Didaktik hat sich jedoch lange Zeit sowohl an Lehrpersonen an Gymnasien als auch an kaufmännischen Berufsfachschulen gerichtet. Für die meisten anderen Berufe gibt es in der Schweiz keine formal ausdifferenzierte Fachdidaktik für den berufskundlichen Unterricht. Dies wird unter anderem in der Ausbildung von Berufskunde-Lehrpersonen augenscheinlich. Eine berufs- respektive berufsfeldspezifische Didaktik und Theoriebildung ist kaum entwickelt. Dies obwohl in der Ausbildungsrealität von Lehrpersonen des berufskundlichen Unterrichts Berufe in Berufsgruppen zusammengefasst werden, die in sich eine grosse Heterogenität aufweisen (z.B. Augenoptiker/in und Fachmann/Fachfrau Gesundheit als Gesundheitsberufe).

Forschung zu didaktischen Fragestellungen, die stärker berufsspezifisch sind, ist aus verschiedenen Gründen wichtig. Erstens wurden auf der Grundlage des neuen Berufsbildungsgesetzes 2002 die Curricula der beruflichen Bildung neu definiert und mit dem Anspruch verbunden, berufliche Handlungskompetenzen in den Mittelpunkt aller berufspädagogischen Bemühungen zu rücken (Rosen & Schubiger 2013; Zbinden-Bühler 2009) – eine Entwicklung, die sich nicht zuletzt auch in der Ausgestaltung nationaler und internationaler Qualifikationsnachweise, etwa im Rahmen der Einführung von Qualifikationsrahmen wie dem NQR-CH oder dem EQR widerspiegelt (Baumeler & Engelage 2016). Die Entwicklung didaktischer Ansätze, die berufsspezifische Handlungskompetenzen fördern, ist somit besonders entscheidend.

Zweitens suchen vor dem Hintergrund der fortschreitenden Professionalisierung von Berufsbildungsverantwortlichen in der Schweiz und den Vorgaben des einschlägigen Rahmenlehrplans für Berufsbildungsverantwortliche vor allem die Anbieter von Aus- und Weiterbildungen für Lehrpersonen der Berufskunde zunehmend nach Möglichkeiten, fach- beziehungsweise berufsspezifische Aspekte der Didaktik in ihren Angeboten zu berücksichtigen. Dabei nehmen sie meist Bezug auf das Konzept der Berufsfelder.

Doch wissenschaftlich fundierte Beiträge zur Frage, wie berufsspezifische Inhalte insbesondere im berufskundlichen Unterricht didaktisch geplant und umgesetzt werden sollen, fehlen weitgehend. Dabei verfügen Länder wie die Schweiz, «(…) die in einer gewissen Breite eine akademische Ausbildung für Berufsschullehrer obligatorisch vorsehen, (…) mit solchen fachlichen und zugleich berufspädagogischen Studiengängen über eine Forschungsinfrastruktur, für die die Reflexion und Gestaltung beruflicher Bildungs-, Lern- und Lehrprozesse selbstverständlich ist. Darin ist eine wertvolle Ressource für die weitere Entwicklung und die Vertiefung von Fragestellungen zu sehen, die sich aus dem Wandel beruflicher Anforderungen ergeben» (Rauner 2006, S. 9).

Zentrale Ausbildungsstätten vereint

Trotz der grossen Bedeutung der Berufsbildung in der Schweiz sind entsprechende didaktische Fragen bislang wenig erforscht. Das von swissuniversities geförderte Leading House Berufsfelddidaktik soll dem nun Abhilfe schaffen. Das Leading House vereint unter der Leitung des EHB die Pädagogischen Hochschulen Luzern, St. Gallen und Zürich sowie die Universität Zürich. Damit sind die zentralen Hochschulen im Bereich der Ausbildung von Lehrkräften für die Berufsbildung (Sekundarstufe II) in diesem Netzwerk vertreten.

Projektetappen 2017-2020: Bildungslandkarte und vertiefte Kompetenzen in Schwerpunkten

Die Berufsfelder, die im Rahmen der drei Forschungsrichtungen untersucht werden, müssen noch eingegrenzt sowie die konkreten wissenschaftlichen Fragestellungen entwickelt werden.

Das Ziel für die nächsten vier Jahre ist der systematische Aufbau der wissenschaftlichen Kompetenzen in der Berufsfelddidaktik im Rahmen eines nationalen Netzwerkes. Dazu sind zwei Projektphasen vorgesehen:

In der Aufbauphase (1. Jahr der Projektlaufzeit) wird das Netzwerk Berufsfelddidaktik unter der Leitung des EHB strukturell verankert. Ebenso wird eine gemeinsame wissenschaftliche Basis geschaffen. Zum einen wird eine Bildungslandkarte zum aktuellen Zustand der Berufsfelddidaktik in den Schweizer Aus- und Weiterbildungsinstitutionen für Berufsbildungsverantwortliche systematisch erarbeitet. Es wird darin festgehalten, wie in den Partnerinstitutionen mit der Idee der Berufsfelddidaktik umgegangen wird, was darunter verstanden wird und wie sich dies in der Aus- und Weiterbildung der Berufsbildungsverantwortlichen niederschlägt. Zum anderen wird ein systematischer Überblick über den aktuellen Stand der nationalen und internationalen Forschung zur Berufsfelddidaktik verfasst, der Aufschluss über Kernthemen und Problematiken im Bereich der Berufsfelddidaktik und ihrer Anwendung im hiesigen Kontext gibt.

In der Vertiefungsphase (2. bis 4. Jahr der Projektlaufzeit) bauen die Netzwerkpartner die wissenschaftlichen Kompetenzen in drei festgelegten Forschungsrichtungen anhand folgender Schwerpunktthemen aus:

Im Rahmen der Forschungsrichtung «Internationale Berufsfelddidaktik» werden mit besonderem Fokus auf Deutschland entlang einzelner Berufe Theorie und Praxis dargestellt und evaluativ mit Blick auf die Schweiz ausgewertet. Die Forschungsrichtung «Ausbildungskonzepte» befasst sich mit der Berufsfelddidaktik in der Ausbildung von Lehrpersonen für Berufsfachschulen sowie von Berufsbildenden in überbetrieblichen Kursen und Lehrwerkstätten. Hierbei ist von Interesse, wie Lernziele und Lerninhalte berufsfelddidaktisch aufbereitet werden, in die Ausbildung einfliessen und wie die Zielpersonen sie wahrnehmen. Im Rahmen der Forschungsrichtung «Unterrichtspraxis» wird schliesslich der Kompetenzerwerb in den Lernorten der Berufsbildung bearbeitet. Es ist beispielsweise von Interesse, wie berufsfelddidaktische Aufgaben für Lernende gestaltet sein müssen, damit die drei Lernorte gemeinsam einen Beitrag zur Kompetenzentwicklung leisten können.

Die Berufsfelder, die im Rahmen der drei Forschungsrichtungen untersucht werden, müssen noch eingegrenzt sowie die konkreten wissenschaftlichen Fragestellungen entwickelt werden. Im Sinne des mixed-method Ansatzes werden dabei verschiedene qualitative und quantitative Methoden zum Einsatz kommen.

Das Netzwerk wird in seiner Forschungsarbeit laufend durch je eine Begleitgruppe aus der Praxis und aus der Wissenschaft unterstützt.

Projektteam
Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung: Prof. Dr. Carmen Baumeler, Dr. Antje Barabasch, Dr. Seraina Leumann, Anna Keller
Pädagogische Hochschule Luzern: Prof. Dr. Jürg Arpagaus, Dr. Janine Gut
Pädagogische Hochschule St. Gallen: Prof. Dr. Samuel Krattenmacher
Pädagogische Hochschule Zürich: Prof. Dr. Markus Maurer
Universität Zürich: Prof. Dr. Philipp Gonon, Stefanie Dernbach Stolz

Projektlink
http://www.ehb.swiss/project/berufsfelddidaktik-der-schweiz-aufbau-der-wissenschaftlichen-kompetenzen

Das Konsortium dient nicht nur der Vernetzung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, um Erkenntnisse im Bereich der Berufsfelddidaktik innerhalb der Schweiz zu generieren und zu verbreiten, sondern strebt auch eine internationale Anbindung der berufsfelddidaktischen Forschung im Rahmen von Kooperationen mit internationalen Netzwerken an. So sollen perspektivisch weitere Projekte aus der Arbeit des Leading Houses hervorgehen.

Zitiervorschlag

Baumeler, C., Barabasch, A., & Leumann, S. (2017). Die Berufsbildung braucht spezifischere Didaktiken. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 2(2).

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